Ein Gespenst geht um (auf dem Globus…)

Ein Gespenst geht um (auf dem Globus…)

Hätte Karl Marx Mitte des 19. Jahrhunderts gesagt: „Yes, we can!“ oder gar das strategische Gegenteil dessen: „America First!“, hätte man ihn des Mangels an akademischer Eignung bezichtigt. Und doch hat er nichts Anderes gesagt, lediglich seine Zielgruppe war eine andere.

Seine Schriften sind in alle Kultursprachen der Menschheit übersetzt worden und doch sind wir geneigt seine Herkunft zu verleugnen. Ein Exemplar seines Hauptwerkes „Kapital“ und die erste Seite des „Kommunistischen Manifests“ wurden 2013 in das Weltkulturerbe-Programm „Memory of the World“ der UNESCO aufgenommen und doch fällt es uns schwer uns zu ihm zu bekennen. Im Rahmen einer „Selbstfindungsaktion“, für und mit den Deutschen, des Fernsehsenders ZDF und der Bild-Zeitung, im Jahre 2003, mit dem vielsagenden Titel „Unsere Besten“, landete Marx hinter Adenauer und Luther auf dem 3. Platz, und doch anerkennen die wenigsten in unserer Gesellschaft sein Werk und verhalten sich auf Nachfrage so, wie es die vielen „Bild-Zeitung-Leser“ tun, die dort bestenfalls den Sportteil lesen.

Marx war weiß Gott kein Verfechter einer überparteilichen Berichterstattung in der öffentlichen Medienlandschaft. Als Mitarbeiter und späterer Chef Redakteur der linksliberalen „Rheinischen Zeitung“ in Köln, fiel er 1843, nach 6-monatiger Dienstzeit der eigenen Berichterstattung zum Opfer und war gezwungen Deutschland zu verlassen.

Das Mantra seines aktiven Wirkens in dieser Zeit kann getrost mit dem noch heute im Foyer der Humboldt Universität, Unter den Linden, in Berlin, zu lesen stehendem Zitat: „Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt aber darauf an, sie zu verändern.“, beschrieben werden. Seine Lehre bestand darauf, dass es die Menschen selbst sind, die mit der von ihnen verrichteten Arbeit, Geschichte in ihrem Gattungswesen hervorbringen.

Nachdem der Kapitalismus, zum Beginn des 21. Jahrhunderts, mehrfach in Schieflage geraten ist, und insbesondere in jüngster Zeit deutlich wahrnehmbare Existenz-Krisen überstehen musste, gleichzeitig die Schere zwischen Arm und Reich größer zu werden scheint, als die Klingen der Schere sich voneinander zu entfernen vermögen, rücken die markigen Marxschen Thesen, aus einer Zeit, als es uns alle weder gab, noch dass man sich ein Bild von uns hätte machen können, in ein zunehmend klareres Licht. Man muss keineswegs Marxist sein um zu erkennen, dass die ansteigende Diskrepanz zwischen Arm und Reich ungerecht und im Sinne einer gesunden Rechtsauffassung, verwerflich ist. Karl Marx hätte voraussichtlich die Auffassung der Gründerväter unserer Verfassung kommentarlos unterschrieben, die besagt, dass vor dem Gesetz alle Menschen gleich sind. Er hätte im Atemzug seiner Zustimmung weiß Gott alle jene Bänker und Finanzmakler mit Worten gegeißelt, die ihre Kapitalerträge nicht nur dem Fiskus, also der Allgemeinheit mit „legalen“ und illegalen Mitteln vorenthalten. Ja, dieser atheistische „Proletenpapst“ hätte mehr noch, jene Politiker durchs Dorf getrieben, die sich gemein machen mit jenen, die, ob ihrer materiellen Überlegenheit, die Allgemeinheit nicht nur übervorteilen, sondern daraus Geschäftsmodelle entstehen lassen, die jeder Moral entbehren und damit über Gebühr, die eigene Rente sichern. Jenen Protagonisten, denen offenbar jedes Rechtsbewusstsein abhandengekommen ist, sodass sie sich gegen jede Ethik und Moral auf Lücken in Gesetzen berufen.

Eine zur Banalität erodierende Dialektik über die Marxsche Philosophie- und Gesellschaftskritik und das Aufblühen blasphemischer Signifikanten, derer Ampelmänner, gehäkelte und gestrickte Zwergen- Mützen, die künstlerisch wenig anspruchsvollen, in kapitalistischer Manier produzierten Büsten übergestülpt sind. Ebenso das marxsche Konterfei auf Tassen, Einkaufstüten, Weinetiketten und dergleichen mehr, die, wie zu erwarten steht, in noch schlimmerem, etwa einem Marx-bärtigen Schamhaarbesatz auf Damenschlüpfern, gipfeln könnten. 

 Allerorten sind es die „geistigen Tiefflüge mit Bodenberührung“, jene unterschwellig, vom allgegenwärtigen Gutmenschentum gepredigte Freiheit des Kapitals, deren Geist sich bei Licht(e), nirgendwo besser manifestiert als in einem Artikel der FAZ, in der vielsagenden Rubrik „Erklär mir die Welt“ (Folge 31), in welcher der alteingesessener aktuelle FAZ Wirtschaftsredakteur, Gerald Braunberger, in „erkennendem Universalwissen“ formuliert: „Man mag noch manches andere Bedenkenswerte bei Marx finden, aber alleine sein Image als Verlierer der großen Kontroverse zwischen Kapitalismus und Sozialismus steht einer Verwendung als Ikone aktueller Kapitalismuskritik entgegen. Aber wer weiß, es hat ja schon die merkwürdigsten Comebacks gegeben.“

Insbesondere von Berufs wegen mit Schmauchspuren des Besserwissens kontaminierte Würdenträger sollten wissen, dass jede Revolution sowohl die eigenen Vorläufer, als auch die unvorhersehbare Nachhut des Neuen erzeugt. Will sagen: Eine Revolution basiert immer auf dem zwingenden Bedürfnis nach grundlegender Veränderung. Das wiederum bewegt Menschen nach Wegen, ob philosophischer, soziologischer, politischer, technischer oder ökonomischer Natur zu suchen und zu finden. Im Erkenntnisstrang dieses Suchens manifestiert sich ein Handlungsmodell. Eben dieses Handlungsmodell ist der Entwurf für die dann bevorstehende Revolution. Was dann passiert gleicht immer einer chemischen Reaktion. Die Zutaten reagieren miteinander. Es ist bei der ersten Vermischung der Ingredienzien immer schwer genau oder überhaupt das Ergebnis vorher zu sagen. Nur eines ist gewiss, es ist nichts mehr, wie es zuvor war, es ist Neues entstanden, manches Mal Negatives, im Idealfall Positives. Dennoch ändert das nichts an der Notwendigkeit Veränderungen herbeizuführen.

Bis hierher hat Karl Marx nichts anderes getan, als dem in allen Belangen benachteiligten Proletariat (ob Nahrung, medizinischer Versorgung, Wohnen usw.), jene berechtigten Ansprüche aufzuzeigen, die das Leben nach den Maßstäben derer, die Nutznießer eben jener menschenverachtenden Arbeitsbedingungen waren, zu bieten hat. Das, was Karl Marx trieb und leitete war nichts anderes, als adäquate, nämlich gerechte, gesellschaftliche Zustände zu erzeugen.

Die Revolution, für die Karl Marx angetreten ist und sich mit seinem Lebenswerk eingebracht hat, hatte nach meinem Verständnis den Anspruch ein als Gespenst verkleidetes Wunder zu vollbringen. Das natürlich in dem wohl definierten Charakter eines Wunders, wonach:  Ein >>Wunder<< einfach die plötzliche Emergenz von etwas Neuem, dass nicht auf die Vorbedingungen reduziert werden kann, etwas, das seine Bedingungen rückwirkend >>setzt<< und jeder authentische Akt seine eigenen Möglichkeitsbedingungen schafft.

Dieses Wunder also galt es zu vollbringen. Von welchem Wunder die Rede ist? Nun, Karl Marx hat dem Kapitalismus eine Injektion mit „Linksdrall“ verpasst. Der Kapitalismus, den wir heute kennen, wäre sicher nicht eine Gesellschaftsform, die Karl Marx gefallen würde. Sie wäre jedoch ohne Karl Marx und seine Sicht auf die Dinge, bei Weitem nicht die, die sie in den vergangenen 200 Jahren geworden ist.

Wenn wir uns hier in Trier mehr darauf besinnen, dass die Absicht, die in dem Werk von Karl Marx lag weder etwas mit leninistischen Kolchosen mit der Enteignung aller Bauern, noch mit stalinistischen Totalitarismus in seiner menschenverachtenden und den eigenen Schutzbefohlenen millionenfach todbringenden Ausprägung, verbunden hat. Oder ebenso wenig mit der Einzäunung ganzer Völker in Mitteleuropa mit perfiden Überwachungsmethoden und einer umfangreichen Lebens- und Erlebnisbevormundung. Oder gar der chinesischen Kulturrevolution, initiiert von Mao Zedong, mit den weithin bekannten Menschenrechtsverletzungen, hunderttausenden Toten, Arbeitslagern mit physischen und psychischen Misshandlungen und dergleichen mehr. In Abwägung einer derartigen Paradoxie käme das der Vorstellung gleich, Jesus von Nazareth habe die Kreuzzüge und Mohammed, der Prophet des Islam, habe die Untaten des IS vorbereitet und gewollt.

Wenn wir uns hier in Trier also darauf besinnen dass es das Anliegen von Karl Marx war: [Zitat]„dass sich niemand auf diesem Erdball als Eigentümer auch nur des geringsten Teils dieser Erde auffassen kann und darf; dass weder ein Einzelner noch die Gesamtheit der Menschheit Teile der Erde in ihrem Eigentum hat, sondern bestenfalls für einen bestimmten Zeitraum im Besitz. Lediglich als Nutznießer obliegt es jedem Einzelnen einen Beitrag dazu zu leisten, sie als boni patres familias den folgenden Generationen zu hinterlassen“.

Wenn wir uns hier in Trier und auf diesem Erdball also darauf besinnen können, dass Alles uns allen gehört und dass das viel zu Viele bei einigen Wenigen, obszön und verwerflich ist, dann geben wir dem Geist der Absicht des Menschen Karl Marx ein Gesicht. Welchen Namen wir diesem umstreichenden Geist auch immer geben, ob Kommunismus, Kapitalismus oder „Kategorismus“ (im Sinne von andere diskriminierende Gesellschaftsgruppen, Kastensystemen usw.), er wird in diesem Sinne aufgefasst helfen, die Welt ein wenig zu verbessern. © Klaus Räsch 2018

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert