Konstruktiver Stilismus

Wohlwissend, dass Kreativität grundlegend auf der asymetrischen Anwendung symetrischer Prozesse basiert, sehe ich in dem bewussten Eingriff in die Statik eines Kunststils ein Mittel, meiner Kunst, über meine mediale Kunstsprache hinaus, Ausdruck und Inhalt zu verleihen.

 

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Maske

Titel: Maske

2013
Acryl auf Baumwollgewebe
100 x 120 cm

 

Gleis Dreieck

Titel: Doppeldreieck²

2013
Acryl auf Baumwollgewebe
100 x 120 cm

Linie und Farbe
Charles Baudelaire* kritisiert rückblickend einen Streit des 17. Jahrhunderts zwischen kunsttheoretischen Anhängern von Poussin** und denen von Rubens***, welcher seine nicht minder heftige Fortsetzung im 19. Jahrhundert zwischen „Klassizisten“ und „Romantikern“ fand. Der Anlass dieser Auseinandersetzung waren heftigste Differenzen in einer Deutungswertung zwischen Farbe und Linie. Poussin und den späteren Romantikern wurde eine Unterordnung der Farbe versus Rubens und den späteren Klassizisten wurde eine Unterordnung der Linie vorgeworfen. Charles Baudelaire kam in seiner Bewertung dieser Auseinandersetzung zu einer überaus erhellenden Feststellung, wonach es sich bei diesem kunsttheoretischen Streit offenbar um ein essentialistisches Mißverständnis handele. Demnach stellte er fest: “Von Natur gibt es weder die Linie noch die Farbe. Es ist der Mensch, der die Linie und die Farbe erschafft; es handelt sich um zwei Abstraktionen, die ihre gleichwertige Noblesse aus demselben Ursprung herleiten.“

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*Charles-Pierre Baudelaire (1821 – 1867), französischer Schriftsteller. Er gilt heute als einer der bedeutendsten französischen Lyriker und als wichtiger Wegbereiter der literarischen Moderne in Europa.
**Nicolas Poussin (1594 – 1665), französischer Maler des klassizistischen Barock.
***Peter Paul Rubens (1577 – 1640), niederländisch Maler flämischer Herkunft. Er war einer der bekanntesten Barockmaler.

_Reise nach Jerusalem_BxH 1000x1400mm

Titel: Reise nach Jerusalem

2013
Acryl auf Baumwollgewebe
100 x 140 cm

„Konstruktiver Stilismus“ ist ein eigener Begriffsentwurf. Ursprünglich lediglich als Arbeitstitel angedacht, entpuppte er sich mehr und mehr als geeignet, meine damit verbundene Idee zu tragen.

Mein persönliches Kunstverständnis beschreibt die Intension, mich als Künstler mit dem so formulierten „Konstruktiven Stilismus“ auseinander zu setzen. Eben diese Intension gründet auf einer überaus rationalen Anschauung der uns bekannten und uns umgebenden Welt. Davon ausgehend, dass die evolutionäre Entwicklung unseres Lebensraumes und des sich darin entwickelnden Lebens mit Nichten um seiner selbst willen existiert, ist alles Entstandene immer auch Grundlage, nicht des Fortbestandes, sondern des weiteren Entstehens. Belegen lässt sich diese These auf einfachste Weise: Es gehört zum fundamentalen Wissen über die Entwicklungsgeschichte unseres Planeten, dass mehr als 98 Prozent jener Arten, welche bisher die Erde bewohnten, überhaupt nichtmehr existieren. Allerdings ohne dieses Dagewesensein jedweder Individuen, unsere Existenz, so, wie wir sie kennen, nicht denkbar wäre, weil möglicherweise ebenfalls nicht gedacht werden könnte.

Richtig ist in diesem Zusammenhang, dass dieser Prozess mehr als vier Milliarden Jahre bis zum Status quo in Anspruch genommen hat und wir, seit einem Wimpernschlag der Zeitgeschichte, in der Lage sind strukturiert zu denken. Nun ist ebenso allseits bekannt, dass sich aus diesem Denken generiertes Wissen mittlerweile binnen Dreijahresfrist verdoppelt. Im weiteren Fortschreiten dieser Fakten müssen wir es als mathematisch belegt ansehen, dass sich die erkennbare Beschleunigung (=Weg/Zeiteinheit im Quadrat) potenziert. Besinnen wir uns an dieser Stelle: Noch vor nicht allzu langer Zeit war die Schwerkraft kein wissenschaftliches Konzept, sondern ohne belastbare Nachweise, eine rein philosophische Annahme. Meine Absicht ist an dieser Stelle lediglich, für einen Umstand zu sensibilisieren, wonach es sich bei dem, nicht zuletzt unsere Existenz betreffenden Wissen, um ein selbstorganisierendes System handelt, “…welches stets fortschreitet, indem es die Grenzen bereits vorherrschender Erkenntnisformen sprengt[1].

Setzen wir diese Erkenntnisse nun in Bezug zur Kunst, hier insbesondere zur Malerei, ist zu konstatieren, dass der Umgang mit Linie und Farbe und damit verbunden, Zeitgeist verbundener Stilarten, bis zum 19. Jahrhundert, im Hinblick auf die jeweilige Bestandsdauer, zunehmend schneller voranschritt. Maßgeblich erscheinen mir in diesem Zusammenhang die ständig zunehmend effektiveren Kommunikationsmittel und -wege.

In einer nachfolgend skizzierten Darstellung ist zu erkennen, dass lediglich sechs Kunstepochen und somit Stilarten ausreichten um einen Zeitraum von mehr als acht Jahrhunderten zu bespielen. Alleine in dem darauffolgenden Jahrhundert sprechen wir über ebenso viele Kunstepochen sowie im vergangenen Jahrhundert über eine ungleich größere Anzahl.

 

Zeitraum Epochen
950 bis inkl. 18 Jahrh.            Romantik, Gotik, Renaissance, Manierismus, Barock, Rokoko
19. Jahrhundert Klassizismus, Romantik, Realismus, Impressionismus, Symbolismus,  Jugendstil
20. Jahrhundert Expressionismus, Kubismus, Abstraktion, Surrealismus, Neue Sachlichkeit, Futurismus, Dadaismus, Suprematismus, Abstrakter Expressionismus, Pop-Art, Minimalismus, Postmoderner Realismus und weitere, mit differenzierten Unterkategorien

 

Wenn sich also, im Gegensatz zu den Stilarten vergangener Jahrhunderte, zunehmend viele Kunststile im mehr oder weniger gleichen Zeitraum, wie im 20. Jahrhundert geschehen, etabliert haben und unterstellt, dass die unser Leben bestimmenden Prozesse nicht abrupt zum Stillstand kommen, kann man eine exorbitante Dynamik im Entstehen neuer Stile erwarten. Dies eingedenk der Tatsache, dass sich im Umfeld aufblühender Medien zunehmend viele Genres entwickeln, deren Ausprägungen sich aktuell nicht im Ansatz erkennen lassen.

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[1] Prof. Dr. Mihaly Csikszentmihayli | 1999 | Aufsatz: Kreativität und die Evolution komplexer Systeme